
Tätowierungen sind weit mehr als Körperkunst. In vielen Religionen spielen sie eine bedeutende, oft kontroverse Rolle. Manche Glaubensrichtungen ehren Tätowierungen als spirituelle Zeichen, andere lehnen sie strikt ab. Die Frage, wie Religion auf tätowierte Haut blickt, führt durch Jahrhunderte, Rituale und kulturelle Spannungsfelder.
1. Christentum: Zwischen Dogma und Duldung
Die Haltung des Christentums zu Tätowierungen ist ambivalent. Im Alten Testament, Levitikus 19:28, heißt es: „Ihr sollt keine Tätowungen an eurem Körper machen.“ Diese Passage wurde über Jahrhunderte als religiöses Verbot interpretiert.
Historische Fakten:
- Frühe Christen lehnten Tätowierungen oft als heidnisch ab.
- In bestimmten Zeiten wurden Christen selbst mit Kreuzsymbolen tätowiert, etwa zur Identifikation auf Pilgerreisen.
- Orthodoxe Christen, vor allem in Ägypten, tragen bis heute Kreuze auf den Handgelenken – ein Bekenntnis, das gleichzeitig Schutzsymbol ist.
Moderne Perspektive:
Viele christliche Gemeinschaften dulden oder ignorieren Tätowierungen, solange sie keine blasphemischen Inhalte zeigen. In der Freikirchenszene sind Tätowierungen mit Bibelzitaten oder religiösen Symbolen sogar beliebt.
2. Islam: Das religiöse Verbot mit kulturellen Nuancen
Der Islam verbietet Tätowierungen in den meisten Auslegungen. Die Sunna, die Aussprüche des Propheten Mohammed, bezeichnet Tätowierungen als haram – verboten.
Begründungen im Islam:
- Der Körper gilt als göttliches Geschenk, das nicht dauerhaft verändert werden soll.
- Tätowieren wird als Form der Selbstverstümmelung gesehen.
Kulturelle Realität:
Trotz der religiösen Ablehnung tragen manche Muslime Tätowierungen, oft verdeckt und aus persönlichen Gründen. In Teilen Nordafrikas, etwa bei den Berberfrauen, existieren jahrhundertealte Tattoo-Traditionen – meist mit Schutz- oder Fruchtbarkeitssymbolen.
3. Judentum: Ein sensibles Thema mit historischem Gewicht
Im Judentum ist das Verbot von Tätowierungen ebenfalls in Levitikus verankert. Zusätzlich wirkt die kollektive Erinnerung an den Holocaust nach, als Juden in Konzentrationslagern Nummern tätowiert bekamen.
Traditionelle Sicht:
- Tätowierungen gelten als Verstöße gegen die göttliche Ordnung.
- Es gibt die Vorstellung, dass Tätowierte nicht auf einem jüdischen Friedhof begraben werden dürfen – eine kulturelle, aber keine halachische Regel.
Zeitgenössischer Wandel:
Immer mehr jüdische Menschen sehen Tätowierungen als individuelle Ausdrucksform. Manche lassen sich Holocaust-Nummern tätowieren – als Erinnerung und Widerstandsgeste.
4. Hinduismus: Spirituelle Hautbilder mit tiefem Symbolwert
Im Hinduismus existiert keine pauschale Ablehnung von Tätowierungen. Vielmehr sind sie seit Jahrtausenden Teil religiöser und kultureller Praxis.
Traditionelle Tattoos:
- Symbole wie „Om“, Götterbilder oder heilige Tiere zieren Arme, Rücken oder Stirn.
- In ländlichen Gebieten Indiens sind rituelle Tätowierungen Teil von Heirats- oder Übergangsriten.
Spirituelle Bedeutung:
Tätowierungen gelten oft als Träger von spiritueller Energie. Sie schützen, heilen oder verbinden Träger mit bestimmten Gottheiten.
5. Buddhismus: Sakrale Tätowierungen als Schutzformeln
Im Theravada-Buddhismus, besonders in Thailand und Kambodscha, sind sogenannte „Sak Yant“-Tätowierungen weit verbreitet. Sie enthalten geometrische Muster und Pali-Schriftzeichen.
Funktion dieser Tattoos:
- Sie dienen dem Schutz vor Unglück, Gewalt oder Krankheit.
- Viele werden von Mönchen oder Ajarns (spirituellen Lehrern) gestochen.
- Die Anwendung erfolgt oft in zeremoniellen Rahmen.
Regeln für Träger:
Träger solcher Tattoos sollen bestimmte Verhaltensregeln befolgen – z. B. Verzicht auf Lügen, Alkohol oder Ehebruch – um die Kraft des Symbols zu bewahren.
6. Indigene Religionen: Die Haut als heiliges Zeugnis
Bei vielen indigenen Völkern ist die tätowierte Haut ein spirituelles Tagebuch. Tätowierungen markieren Lebensphasen, Zugehörigkeit und Verbindung zu Ahnen.
Beispiele:
- Maori (Neuseeland): Die „Ta Moko“-Tätowierungen zeigen Abstammung und sozialen Rang. Jede Linie hat Bedeutung.
- Inuit: Gesichtstattoos bei Frauen symbolisieren Reife und Schutz.
- Samoaner: Tragen komplexe Tattoos (Pe’a / Malu) als Zeichen des Mutes und spiritueller Verpflichtung.
Diese Tattoos entstehen meist unter Schmerzen und gelten als Initiation.
7. Sikhismus: Toleriert, aber nicht gefordert
Der Sikhismus sieht den Körper als Geschenk Gottes. Veränderungen wie Tattoos sind nicht grundsätzlich verboten, aber auch nicht Teil der religiösen Praxis.
Zentrale Punkte:
- Körperpflege und Reinheit sind wichtiger als Körpermodifikationen.
- Einige Sikhs tragen Tattoos mit dem Khanda (Sikh-Symbol), was von konservativen Stimmen kritisch gesehen wird.
8. Fazit: Tattoo oder Tabu?
Die religiöse Haltung zu Tätowierungen reicht von völliger Akzeptanz bis zum klaren Verbot. Was als Gotteslästerung gilt, ist andernorts spirituelles Symbol. Entscheidend ist oft nicht die Tinte selbst, sondern ihre Bedeutung im jeweiligen Glaubenssystem.
Religion | Haltung zu Tattoos | Besondere Aspekte |
---|---|---|
Christentum | Uneinheitlich | Bibelzitate, Kreuze, Pilgerzeichen |
Islam | Meist verboten (haram) | Körperveränderung als Sünde |
Judentum | Eher negativ | Holocaust-Kontext, Friedhofsregel |
Hinduismus | Positiv | Spirituelle Symbole, Ritualtattoos |
Buddhismus | Akzeptiert | Sak Yant, Schutzmantras |
Indigene Völker | Stark verankert | Identität, Spiritualität, Ahnenbindung |
Sikhismus | Neutral bis kritisch | Kein fester Kanon, individuelle Praxis |
Ob Tattoo spirituelle Nähe ausdrückt oder als Bruch mit dem Glauben gilt, hängt von Überzeugung, Kontext und Geschichte ab – und oft davon, wer die Nadel führt.